Teil III „Vereinigung ehemaliger Primaner des Gymnasiums zu Glückstadt von 1887 e. V.“

Gründungsmythos I

Nachrichten über die Gründung unserer Vereinigung danken wir dem Schulfreund Pastor Eduard Messer, Westensee, einem Gründungsmitglied, das im Jahr 1937 verstarb. Er schreibt: „Auf der am 31. August 1910 stattgefundenen Jahresversammlung übernahm ich es, zu dem 25jährigen Bestehen der Vereinigung einen kurzen Überblick über die bisherige Entwickelung der „Vereinigung ehemaliger Primaner des Gymnasiums zu Glückstadt von 1887“ zu verfassen. Um es gleich vorwegzunehmen: der eigentliche Gründer und für die ersten Jahre des Bestehens die Seele der Vereinigung war der Referendar Konrad Steffens in Glückstadt, geb. 25. November 1861 daselbst, gest. 12. August 1904 im Eppendorfer Krankenhaus, der infolge eines schweren Lungenleidens aus dem Staatsdienst hatte ausscheiden müssen, ein hervorragend und vielseitig begabter Mann, die sich aus dem Widerstreit seines lebhaften schnell auffassenden vorwärts strebenden Geistes mit dem stark bureaukratischen Schulbetrieb ergaben, mit ganzem Herzen an seiner Heimatstadt und seiner heimatlichen Schule hing. Der damalige Direktor des Gymnasiums, Detlefsen, hatte die Einrichtung getroffen, alle zwei Jahre die älteren ehemaligen Schüler des Gymnasiums zu einer Zusammenkunft zu versammeln. Ausgeschlossen von der Zusammenkunft waren aber die noch nicht zu einer festen Lebensstellung gelangten Schüler.

Von dieser Bestimmung wurden und fühlten sich vor allem die Studenten betroffen. Mutmaßlich schienen sie dem Leiter der Zusammenkünfte ein zu unruhiges Element, eine Befürchtung, die nach den Erfahrungen, die der Herr Direktor mit seinen Primanern gemacht hatte, nicht unbegründet war.

Genug, wir damaligen Studenten empfanden diesen Ausschluß als eine Ungerechtigkeit und Zurücksetzung. Aus dieser Empfindung heraus, die offenbar berechtigt war, wenn man bedenkt, daß das Interesse an der Schule gerade bei den Jüngeren noch am lebhaftesten ist, entstand bei Konrad Steffens der Plan der Gründung eines Vereins jüngerer ehemaliger Schüler. Der Plan fand freudigen Beifall, und seine Ausführung wurde an dem für unser Land historischen Tage der Erhebung, am 24. März 1884 auf der Bude von Johannes Lohse, genannt Hannibal Lohse, aus Wilster, der eben sein Abitur bestanden hatte, im Hause der Witwe Sönnichsen am Deichtor beschlossen. Die Namen der dort Versammelten und somit der Gründer sind folgende: Otto Bünz, Hans Eller, Conrad Göttsche, Johannes Lohse, Karl Mehrmann, Eduard Messer, Klaus Petersen, Konrad Steffens, Martin Wilde, Paul Wulf. Der Verein ist somit aus Oppositionsgelüsten, die aus der Schulzeit in uns nachhallten, entstanden, mit der ausgesprochenen Absicht, die Zusammenkunft der älteren Jahrgänge mit der Zeit zur Auflösung zu bringen. Das Material für die Neugründung war vorhanden, denn der Verein wollte zunächst die ausgestaltete Fortsetzung der seit dem 2. August 1879 bestehenden Schülerverbindung „Holsatia“ sein, deren Suspendierung am 14. Oktober 1897 erfolgt ist. Der neue Verein wollte mehr sein als eine lose Vereinigung, wie schon der nach vielem Kopfzerbrechen schließlich gefundene Name „Freundschafts-Verein ehemaliger Primaner“ besagt. Dementsprechend wurde auch anfangs nur eine beschränkte Anzahl zur Aufnahme für würdig gehalten. Bei der Beratung über die Aufnahmefähigkeit wurde scharf gesiebt. Wer sich irgendwie unbeliebt gemacht hatte oder gegen die Gebote der Kameradschaft verstoßen, wurde abgelehnt. Als Maßstab wurden die studentischen Ehrbegriffe, wie sie etwa in einer freischlagenden Verbindung gelten, angelegt. Naturgemäß ließ sich dieser Standpunkt auf die Dauer nicht halten. Noch auf der ersten am 31. August 1887 im Lokale des „Holsteinischen Hofes“6 in Glückstadt abgehaltenen Jahresversammlung wurde der erstgewählte Name bestätigt. Dann aber sah man ein, daß der enge Rahmen erweitert werden müsse. Bereits auf der zweiten Jahresversammlung wurde dementsprechend der Name des Vereins aus „Freundschaftsverein“ in „Vereinigung“ verändert. Dieser Name ist beibehalten. Damit war der Verein aus dem Stadium des jugendlichen Ungestüms heraus und in ruhige Bahnen eingetreten, in denen er sich weiter entwickelt hat. Nach dem von Konrad Steffens entworfenen und von der ersten Jahresversammlung nach wenigen Änderungen angenommenen Statut hat der Verein den Zweck, durch Sendung von Jahresberichten und durch jährliche Zusammenkünfte in Glückstadt die Beziehungen zwischen ehemaligen Schülern in Glückstadt zu pflegen. Diesen Zweck hat er dank der gewissenhaften Arbeit seiner jeweiligen Sprecher zur Freude seiner Mitglieder, die mit Spannung den jährlichen Bericht erwarten und auf den Versammlungen das Wiedersehen mit alten Freunden und Kameraden genießen, treulich erfüllt.

Als Termin der Jahresversammlung wurde der 31. August bestimmt. Er war gegeben, einmal, weil dann die Studenten Ferien haben, und sodann, weil seit Jahren schon die Sedanfeier7 am 2. September die Studenten zu fröhlichem Tanz mit den jungen Damen Glückstadts nach der alten Schulstadt rief. Vorsorglich wählte man den 31. August zur Abhaltung der Versammlung, die in Konvent Nachmittags und Kommers8 Abends bestand, um am 1. September Zeit zum Frühschoppen und Kegeln zu haben und mit frischen Kräften sich des Sedanfestes hingeben zu können. Der Student hatte die Zeit zu einer ausgiebigen Feier. Da man nun nicht immer Student zu bleiben pflegt, wurde mit der Zeit die Feier, die bis 1893 in dieser Weise abgehalten wurde, wesentlich eingeschränkt. Die Veranlassung gab ein Übereinkommen, mit den älteren Jahrgängen zusammen zu feiern, was zuerst 1894 am 26. Juli geschah, aber nur einmal, am 8. Oktober 1898 wiederholt wurde. Die Art der Repartierung der Unkosten störte das Einvernehmen. Die Kosten des Mittagessens, das die älteren Herren wünschten, waren für viele der Jüngeren zu hoch. Als dann auf die Einladung unseres Vereins an die Älteren, am 31. August 1891 am Kommers teilzunehmen, keine Antwort erfolgte, wurde endgültig von einer gemeinsamen Feier Abstand genommen. Für die Zukunft wurde der 31. August als Termin der Versammlung festgehalten. Nur einmal, im Jahre 1895, wurde, da der 31. August auf einen Sonnabend fiel, mit Rücksicht auf die Pastoren der 29. August gewählt. 1892 fiel die Versammlung infolge polizeilicher Verfügung wegen der herrschenden Cholera aus. Zu dem herkömmlich gewordenen Verlauf der Feier trat seit 1901 zwischen Konvent und Kommers noch ein gemeinsames, einfaches Abendessen. Die Mitgliedschaft war, wie der Name sagt, auf ehemalige Primaner des Gymnasiums zu Glückstadt beschränkt, doch ist dieses Prinzip von Anfang an nicht genau innegehalten, da laut Statut auch ehemalige Obersekundaner aufgenommen werden konnten. Auf Antrag von Konrad Steffens wurde 1895 beschlossen, die Aufnahmefähigkeit allgemein auf Schüler anderer Klassen des Gymnasiums auszudehnen. Wie schon aus dem Vorherigen hervorgeht, verlor die anfängliche Opposition gegen den Direktor bald alle Schärfe, verschwand nicht nur gänzlich, sondern machte einem herzlichen Einvernehmen mit unserem allverehrten Direktor Detlefsen und dem Gymnasium überhaupt Platz, wie es für einen Verein ehemaliger Schüler auch natürlich ist. Über die vom Verein zur Schule gepflogenen Beziehungen ist noch einiges zu sagen. Wir hatten die Freude, auf den meisten Zusammenkünften Herrn Geheimrat Detlefsen, und nachdem er aus dem Amt geschieden war, auch seinen jeweiligen Amtsnachfolger als Gäste auf unserem Kommers zu begrüßen. An der Feier des 70. Geburtstages von Direktor Detlefsen beteiligte sich die Vereinigung durch Überreichung eines von Maler Leipold zu Störort gemalten Bildes sowie durch Teilnahme einer Reihe von Mitgliedern am Festessen.“

Eduard Messer, Pastor in Westensee: „Chronik der Vereinigung“, ein Abriss über Entstehung und bisherige Schicksale der Vereinigung in: Primanerbericht 1912.

Quellenkritik:

Konrad Steffens (1861-1904) (1880) war ein „edler Jüngling“ aus der Lehrerdynastie Lucht. Urvater Lucht war Lehrer für ältere Knaben sowie Organist der Stadtkirche und Vorsänger“, sein Sohn Andreas Christian Lucht Konrektor am Gymnasium, der mitreißend zu unterrichten wusste. Im Jahr 1854 veröffentlichte er „Glückstadt oder Beiträge zur Geschichte dieser Stadt und des 30jährigen Krieges in unserem Lande“. In ihm sehe ich den ersten Chronisten Glückstadts. Sämtliche Heimatkundler beziehen sich auf ihn, doch weil er nicht lange in Glückstadt anwesend war ist sein Namen in der Aura seines Schülers Detlefsen im kollektiven Bewusstsein verblasst. Von ihm wird gesagt, dass er wegen seiner politischen Einstellung aneckte und nach Kiel versetzt worden sei.

Lucht-Detlefsen-Steffens – dieselbe geistige Wellenlänge! Konrad Steffens, der Vater des Juristen Konrad, war Freund des Advokaten Ferdinand Philipp, also auch Detlefsens Freund. Philipp berichtet: „… wenn der mir befreundete Teilhaber der Göttsche’schen Firma, Konrad Steffens, uns zum Herrendiner versammelte, kamen alte bestaubte Flaschen der edelsten deutschen und französischen Gewächse mit aller nötigen Aufklärung zum Vorschein.“ Nach seiner Pensionierung 1904 wohnte Detlefsen mit Frau Minna über dem göttscheschen(?) Weinkeller, Am Hafen 23, rechts. Es ist nicht denkbar, dass der Sohn von Freunden seinem Lehrer „üble Erfahrungen“ verdanken soll, noch dass er seinen Eltern zugemutet haben kann, eine offene Opposition gegen diesen anzuführen – abgesehen davon, dass es Detlefsens „bürokratischen Schulbetrieb“ gar nicht gab. Bürokratie war des mit Arbeit überlasteten Wissenschaftlers große Schwäche, ja, eine lästige Zeitverschwendung. Nur widrige Zeitumstände hatten ihn zum Schulleiter gemacht Jeder mittelmäßige Kollege kannte die Gesetze besser als er, und, wie er klagte, hauptsächlich zu dem Zweck, sich ihrer zum eigenen Vorteil zu bedienen. „Er fühlte sich nicht als Beamter, auch wenn er ein Amt bekleidete …“ sagte nach Detlefsens Tod (25. 7.1911) in seiner Trauerreden sein Nachfolger Johannes Krumm.

Aus Krumms Ansprache stammt auch der Ausdruck „üble Erfahrungen“. Damit sind doch wohl Erfahrungen gemeint, die der Verstorbene mit seinen Schülern 1889 machen musste, nicht umgekehrt. Nach dem Verbot der „Holsatia“ allerdings hatte der Direktor Auflagen der Schulbehörde betr. Schulordnung sowie des Bürgermeisters Brandes betr. Wirtshausbesuch der Schüler durchzusetzen. Dieser Bürokratismus gehört aber in die Zeit zehn Jahre später und kann nicht Grund für für oppositionelle Vereinsgründung 1887 sein.

Max Tiessen hat den Eklat von 1898 nicht miterlebt. Er schreibt zur 70-Jahrfeier unserer Vereinigung, dass sie „in Opposition gegen die Älteren“ geschehen sei, die die Jugend nicht anerkennen wollten.“ Dabei handelte es sich um Unstimmigkeiten zum Festablauf. Schüler und Studenten konnten sich das gemeinsame Mahl mit den etablierten „Alten Herren“ nicht leisten … Und so ist es noch bis heute. Max Tiessen ist tot,  die Zeit ist fortgeschritten. Da rührt sich Opposition, aber nicht  der Jungen, sondern der Alten! Die Musik zu Wackeltänzen und enthemmenden rhythmischen Verrenkungen gehört sich so laut, dass Nichttänzer an Tischen ihr eigenes Wort nicht verstehen. Dazu sind die Weitgereisten vom „Harten Kern“ (Detjens, Sommermeier, Peters, Herminghausen usw.) nicht zum Treffen gekommen! Generation Max Thormählen zieht sich mit ihnen vom „Tivoli“ in „Tiessens Hotel“ zurück, ausdrücklich, ohne einen neuen Verein gründen zu wollen. Ein Hin und Her nach Lust und Laune wird empfohlen. Geht auch! Es sind ja jetzt Massenveranstaltungen. Aber gern denke ich an beglückende Gemeinsamkeit den Fünfzigerjahren zurück. Drei Generationen feierten Primanerball bei „Heißgetränk“ über alle Unterschiede hinweg: Jeder kam zu seinem Recht und jeder machte alles mit: Polonaise, Wiener und Langsamer Walzer, Schieber, Marschfox, Vogelschießer-Tänze, schräges Neues! (Spanish Eyes, Tiger Rag, In the Mood). Und als absoluten Höhepunkt den Rheinländer im großen Kreis mit Außenwechsel, sodass jede Tänzerin einmal zu jedem Tänzer vorrückte, also auch mit jedem ihrer alten Lehrer die  Runde drehen musste. … Huch!

In scharfer Gegnerschaft zu Direktor Detlefsen gegründet wurde allerdings im Jahr seiner Amtsübernahme 1879 die Schülerverbindung „Holsatia“. Bedenkt man die Namenswahl, spielten hier vaterländische Gründe eine Rolle. Man hatte Anfangs gedacht und erhofft, dass Schleswig-Holstein nach Loslösung von Dänemark unter den Augustenburger Herzögen staatlich selbständig werden würde. Detlefsen war auch ein Augustenburger, wollte sogar Tochter Marie zu Frau v. Noer in die Haushaltslehre geben.. Aber nachdem er als Romfahrer 1861 die Einigung Italiens erlebte und, von militanten Nationalisten in Paris um seine wissenschaftliche Karriere gebracht, in eine tiefe Lebenskrise gestürzt wurde, gab er der Kleinstaaterei zwischen den sich bildenden großen Nationalstaaten keine Chance, so wie   andere führende Glückstadter auch, siehe preußische Adler auf Löhmanns Kandelaber auf dem Markt … Detlefsen blieb ials junger Lehrer in Glückstadt ansässig und wurde Stadtverordneter, um preußische Strukturen einzuführen und nahm es auf sich, enttäuschten Holsteinern die Umstellung zu erleichtern. Die Preußenkönige kannte er persönlich als Schirmherren „seines“ Deutschen Archäologischen Instituts Rom. Während der Achtzigerjahre hielt er zu Nationalfeiertagen wie „Kaisers Geburtstag“ die örtlich fälligen hymnischen Ansprachen. Im Dreikaiserjahr 1888 gab es besonders viel zu tun. Städtischer Festsaal war die Aula des Gymnasiums Am Kirchplatz 6.

Ruth Möller, 2020

Tatsächlich gestorben und neu konstituiert

Für 1949 war der 2. September als Festtag vorgesehen, aber am 1. September entbrannte der 2. Weltkrieg, da fiel das Treffen ohne Absage aus. Es war niemand zum Feiern zu Mute. Max Tiessen schreibt:

„Um so mehr war die Vereinigung bemüht, das Band der Gemeinsamkeit, das die Jahresberichte darstellen, intakt zu erhalten. Für 1940 übernahm die Bearbeitung des Jahresberichts, soweit es die Zusammenstellung der Einzelberichte anlangt, Reinhard Bädecker, für 1941 meine Frau, da ich selbst im Felde stand. Doch 1942 zerriss auch dieses Band, da die Druckerei mitteilte, daß für solche Dinge kein Papier mehr freigegeben werde. Der Jahresbericht 1942 liegt allerdings im Manuskript fertiggestellt bei den Akten, und da bleibt er wohl am besten auch liegen. So war unsere Vereinigung seit 1942 stillgelegt, ja, als 1945 die Katastrophe eintrat und alles in ihren Strudel mithineinriss, war sie re vera gestorben. Denn die englische Besatzungsmacht verbot, in völliger Verkennung ihrer wahren Aufgaben, und auch in völliger Verkennung ihrer Potenz u. a. auch derartige Vereinigungen gänzlich unpolitischen Charakters. Erst 1946, als ich am 22. Mai aus Kriegsgefangenschaft in den Vereinigten Staaten nach Hause zurückgekehrt war, konnten die Bemühungen einsetzen, eine Renaissance der Vereinigung herbeizuführen. Das war aus zwei Gründen sehr schwierig, einmal galt es, den englischen „Besatzern“, die zum größten Teil völlig ahnungslos waren über die tatsächlichen Verhältnisse in Deuschland, klar zu machen, worum es sich eigentlich handele, und ihnen ihre Zustimmung abzuringen, und zweitens waren wir, die wir damals uns um das Wiedererstehen der Vereinigung bemühten, keineswegs uns dessen sicher, ob die bisherigen Mitglieder uns auch folgen würden. Denn damals (das vergisst man heute gar zu leicht in der Bundesrepublik), war der Nihilismus (etwa in dem Sinne: Uns ist alles ganz egal!) sehr Mode bei uns. Es gab zunächst langwierige, umständliche Verhandlungen mit den englischen Machthabern, die für den Verhandlungsführer nicht immer angenehm und erfreulich waren. Am 28.März 1947 genehmigte der „Education Control Officer“ in Itzehoe dem Sprecher „to convoke a meeting“ mit der Tagesordnung Neuwahl des Vorstandes und Beratung der Satzungen. Der Tradition gemäß wurde die Versammlung als „Jahresversammlung 1947 auf Sonnabend, d. 30 August 1947 in der „Hoffnung“ einberufen, und zwar mit einem Konvent um 16 Uhr und einem „Beisammensein“ um 20 Uhr. Vorher galt es aber festzustellen, wer sich noch zur Vereinigung rechnete. Diesem Zweck diente eine bedruckte Karte, die an alle Mitglieder des Jahres 1942 versandt wurde. Der Ertrag dieser Aktion war sehr ermutigend und strafte alle Befürchtungen von Interesselosigkeit Lügen. Fast alle erreichbaren Schulfreunde bejahten die Frage, ob sie weiter Mitglied bleiben bzw. wieder werden wollten. Entsprechend war der Erfolg des 30. August 1747. Am Konvent nahmen trotz der noch immer miserablen und schwierigen Verkehrsverhältnisse 56 Mitglieder teil. Ihre Zahl erhöhte sich am Abend noch beträchtlich, etwa auf rund 100. Der Konvent wählte unter Vorsitz des Alterspräsidenten Pastor Kölln den Sprecher wieder und als weitere Vorstandsmitglieder Ernst Engelbrecht-Greve, Fredo Oehlers, Heinrich Rowedder, Albert Glashoff und Walter Eckard. Er genehmigte einstimmig die gebildeten Stipendienfonds durch die Kasse auf 2ooo RM zu erhöhen und an Studenten zu verteilen und nahm in Aussicht, zunächst anstelle des überlieferten Jahresberichts wenigstens möglichst bald ein Anschriftenverzeichnis herauszubringen. Der Papiermangel gestattete erst 1948, das Verzeichnis unter dem Namen „55. Jahresbericht für die Jahre 1942, 1943, 1944 1945, 1946, 1947“ herauszubringen. Es umfasste 305 Namen, z. T. aber noch mit unsicheren Anschriften. Das Beisammensein 1947 verlief trotz des Dünnbieres, Heißgetränks und heimattreuen Tabaks einmütig und erfreulich. Nach Feststellung des Sprechers hatte die Vereinigung in den Jahren 1942-1947 insgesamt mindestens 55 Mitglieder durch den Tod verloren (daruntern 26 Gefallene), vermisst waren damals noch 15 Mitglieder.

Die Jahresversammlung 1947 brachte, so bescheiden, ja dürftig in ihrem äußeren Verlauf sie auch war, doch, und das ist doch das wesentlichste, das Wiedererstehen unserer Freundschaftsvereinigung und hat so ihre besondere Bedeutung in der PV. … Im Februar 1948, nachdem noch einmal alle Vorstandsmitglieder ihre politische Zuverlässigkeit abgestempelt hatten bescheinigen müssen, erhielt die Vereinigungn endlich die Handlungsfreiheit wieder und brauchte sich seitdem nicht mehr um sachfremde ausländische Kontrolle zu kümmern. Aber auch im Jahr 1848 konnte der Bericht nicht erscheinen, noch immer fehlte das Papier, und die Währungsreform hatte die Kassenreserven verzehrt. Doch fand der Primanertag am 28. August 1948 in der üblichen Form (Konvent auf Krautsand, Kneipe in der Hoffnung) statt: Zwei Dinge sind aus diesem Jahr bemerkenswert. Zunächst der wiederauftauchende Alkohol als eine der ersten Begleiterscheinungen (oder Vorläufer) des „Wirtschaftswunders“ und dann (viel wichtiger für die Struktur unserer Vereinigung) die Zulassung der weiblichen Ehemaligen als gleichberechtigte Mitglieder … Dieser Beschluß war m. E. die einzige logische Konsequenz aus der Tatsache, dass unser Gymnasium in eine Schule für Jungen und Mädchen umgewandelt ist, aber auch aus der im Grundgesetz verankerten Gleichberechtigung der Geschlechter. …“

Abschließen möchte ich mit einem Wort unseres 1954 verstorbenen Schulfreundes Dr. Georg Hager, das er, damals schon im 84. Lebensjahr stehend, 1950 mir schrieb, nachdem ich ihm unsere Jahresberichte 1949 und 1950 in sein Flüchtlingslager in Oldesloe übersandt hatte: „Die Berichte stellen für mich ein Stück Kulturgeschichte deutschen Lebens dar, die mich wirklich erquickt haben,“ Ein solches Urteil allein rechtfertigt die Existenz unserer Vereinigung und die Arbeit für sie. In diesem Sinne rufe ich alle Mitglieder dazu auf,  die Treue zur Vereinigung zu wahren. Vivat, cescat, floreat!Itzehoe, Juli 1957 Max Tiessen“

Max Tiessen. Oberstudiendirektor, „Zur Geschichte unserer Vereinigung – Betrachtungen über die Zeit 1937-1957“ in:  Primanerbericht 1957 S. 8-11 (Auszüge).

1957 hat die Primanervereinigung 257 Mitglieder. 2020 zählt sie 1527 Mitglieder, und 694 Schüler in 30 Klassen werden von 56 Lehrern unterrichtet.

Unserm lieben Professor Detlefsen zum Gedächtnis

Als wir im Jahre 1917 unseres 300-jährigen Glückstadts froh waren, schrieb ich in der „Neuen Hamburger Zeitung“ unter anderem über unseren Direktor also: „Das war ein Erlebnis, als wir als Sextaner mit unserer schwarzen Mütze vor der Schultür standen in Erwartung, daß die Tür zur Stätte der Weisheit sich auftue, und dann kam aus seiner Wohnung der Herr Direktor zu uns, begrüßte uns so herzlich und redete, sich zu uns herabbeugend, so väterlich-kindlich mit uns, daß wir meinten, diese Stunde sei die größte unseres Lebens. Später, als wir Quintaner waren, erzählte er uns dann im Unterricht in einer Vertretungsstunde so anschaulich, so lebendig von seiner Besteigung des Vesuvs und, wie er in der heißen Lava Eier gekocht, daß wir alles vergaßen und meinten, wir seien dabei. Dann aber erst, als wir Primaner geworden waren – das war ein Unterricht. Alles, was es nah und fern auf Erden gab, wurde in künstlerischer Verknüpfung und mit salomonischer Weisheit mit dem Unterricht verbunden, und es wurde besprochen, wie in der Marsch ein Graben gekleit wird und wie die Geräte des Dachdeckers genannt werden, wie die alten Römer ihre Straßen bauten und wie erbärmlich das von den Holländern angelegte kunstvolle Wassersystem unserer Heimatstadt von den nachfolgenden Geschlechtern versaut wurde. Blume und Tier, Heimat und fernstes Land, Wolken und Sterne, Arbeiter und Künstler – sie alle waren beobachtet, und so war in goethesche Weise ein volles, tiefes Menschenbild entstanden, in das wir lernend und strebend täglich Blicke tun durften: So habe ich mir immer König Salomo vorgestellt. Wenn ich in der Bibel las: „Und Gott gab Salomo sehr große Weisheit und Verstand und getrostes Herz wie Sand, der am Ufer des Meeres liegt“, dann konnte ich nicht anders, ich mußte bei diesen Worten an Professor Detlefsen denken. Wenn man ihn nach dem ersten Studiensemester besuchte und er zum Abschied so fest die Hand schlug, so war es, als bekäme man den Ritterschlag.“

Ja, Prof. Detlefsen war eine besondere Erscheinung im Straßenbild. Langsamen Schrittes ging er dahin, immer im Gehrock und jeder grüßte ihn. So hat es Theodor Mahler vor 2 Jahren berichtet und so war es. Er war ein schaffendes Glied des öffentlichen Lebens. War ein großes Sängerfest mit vielen Gastvereinen in unserer Stadt, dann hielt er auf dem Abhang der Wilhelminenhöhe die Festrede. Wurde versucht, unser liebes Heimatstädtchen zu einem Kurort zu machen, dann schrieb er das Büchlein „Glückstadt – das heutige, im alten. Ein Fremdenführer“. Er ging in die Häuser der Bürger, stand wartend auf den Fluren ihrer Häuser und saß auf dem Plüschsofa ihrer besten Stube und warb Bezieher für seine „Geschichte der holsteinischen Elbmarschen“, die im Selbstverlag erschien. Für eine Ausstellung heimischer Altertümer bei Paul Schröder „Unter den Linden“ suchte er persönlich in Geschäften und Betrieben, auf Bauernhöfen und in Fischerkaten jedes Stück einzeln zusammen und unterhielt sich dann pausenlos mit den Besuchern über die Gegenstände. Von Fräulein Brun, Tochter von Heine Brun aus der Reichenstraße, einer schönen Erscheinung, waren Aufnahmen in alter, bunter Heimattracht gemacht. Er verkaufte selbst Abzüge davon. Natürlich mit Erfolg. So wurde der Grundstock unseres Detlefsen-Museums geschaffen. Als ich später aus Elberfeld Besuch von einem Studiengenossen bekam, besuchten wir auch das Museum. Prof. Detlefsen führte ein Gespräch mit dem alten Schorsch Kähler über den Gebrauch von Geräten auf den „Grolanners“. Da sagte mein Freund: „Drei Universitäten habe ich besucht, und nun muß ich in eure kleine Stadt kommen, um das feinste Gelehrtengesicht zu schauen, das ich in Deutschland sah.“ Ich antwortete ihm: „Bei Theodor Mommsen störte im Ausdruck und Blick trübende Parteileidenschaft, bei Wilamowitz-Moellendorff waren die Kinnbacken zu stark entwickelt, um als Gelehrtengesicht harmonisch zu wirken.“ Beide kannten wir von der Berliner Universität.

Die Glückstädter Heringsfischerei lag ihm sehr am Herzen. So erzählte er uns im Unterricht von einem Regierungsbaurat, der von Emden nach Glückstadt versetzt wurde. Dieser habe in der Gastwirtschaft von Johann Mohr am Hafen gesagt, der Glückstädter Binnenhafen sei der geeignetste Ort für die Anlage einer großen Hochseeherings-Gesellschaft. Hermann Gehlsen aus altem Dithmarscher Bauerngeschlecht und in der Unternehmungskraft seines Stammes, der alte Gyesen, eine prächtige Kaufmannserscheinung, Apotheker Behrmann, einst als junger Mensch in der Schweiz vom Gedanken der Genossenschaft erfaßt, viele Bürger, allen voran Gustav Witt, waren „Feuer und Flamme“. Johann Mohr, als Fischfachmann ruhte nicht und redete und redete, dazu unser Detlefsen. So wurde unsere Heringsfischerei gegründet. Im Frühling 1895 standen wir dann auf dem Mühlenberg. Logger „Tümmler“, SG.I, im Flaggenschmuck und bekränzt und die Sektflasche an blau-weiß-rotem Band vor dem Steven, sollte vom Stapel laufen. Detel, eingerahmt von Hermann Gehlsen und dem alten Gyesen, stand vor allem Volke nahe dem Steven. Sophie Gehlsen, später Frau Dr. Gehl, hielt die Taufrede. Dann „He geiht!“ Reinhold Nissen und ich voller Begeisterung schwenkten unsere braunen Quintanermützen, Ede Sieburger löschte mit Pützen sonder Zahl den Brand der am Bug sich reibenden Hemmtrosse, „Puh“ Däbel, im Hafengebiet überall und zu jeder Zeit gegenwärtig wie ein kleiner Gott, war Kommandant eines Floßes, das auch bremsen sollte, hier aber riß die Trosse, es kam zu einer Berührung des Schiffsrumpfes mit der gegenüberliegenden Quaimauer, die aber harmlos war. Und nun nahmen Hermann Gehlsen und der alte Gyesen, hoch aufgerichtet und brustgeschwellt, unseren Detel in die Mitte, und im nahen Gyesenschen Haus am Rethövel wurde bei einer Flasche Wein die festliche und schicksalhafte Stunde feierlich begossen. Freude über den gelungenen Anfang! Am 20. Mai 1895 machte Prof. Detl. in der Schule uns darauf aufmerksam, daß abends ½ 8 Uhr die ersten Loggerleute ankämen. Natürlich waren Detlefsen und wir dabei! Ebenso, als am Nachmittag des 15. Juli nach einer Reise von 8 Wochen Logger „Tümmler“ als erster mit 150 Kantjes heimkehrte. Die Süberlingsche Kapelle – fast lauter Lehrlinge – spielte auf der Südermole, und nachher standen wir wieder mit Detlefsen am Bollwerk und rochen den Meerwasser- und Fischgeruch der Netze, die über Rollen an Land gezogen wurden. Dann ging Käppen Jan Schön im Schmuck eines standesgemäßen Vollbartes langsam und breitspurig hin und holte aus einem angebrochenen Faß einen breitrückigen Matjeshering, reichte ihn über die Schanzkleidung hin unserem Detel, dieser griff zu und zeigte uns ihn: – „Seht Jungens, was für ein Fisch-“. Seine l.ippen feuchteten sich vor Erregung im Gefühl der wirtschaftlichen Bedeutung des gelungenen Werkes. Dann gab er den Hering einem großen Bürgerschüler. Dieser biß tapfer in den fetten und dicken Rücken hinein und warf den kümmerlichen Rest ins Wasser. Als aber dem Jungen Salz und Lake im Munde brannten, gab ihm der Koch ein Stück Hartbrot zur Linderung. So kam in die Hand unseres Direktors der erste Hering an Land. Ihm folgten Milliarden.

Reich waren auch unsere Klassenausflüge, die immerhin in beiden Primen zusammen 4 Tage und 2 Nächte betrugen. Unsere Klassen waren klein. Gute Gespräche waren leicht und möglich. Worüber? Nun, über alles, was unsere Augen sahen. Krug, Koppel, Kamp – was bedeuten diese Ausdrücke und in welchen Landschaften werden sie angewandt? Das Wort für Krabben: Porren im Friesischen, Kraut in Dithmarschen, Granat im Lande Wursten. Feierstunde am Brutkamp in Albersdorf. Hemmerbünge bei Strübbel, was bedeutet das Wort -bünge? Das Wort Büttel, Bötel, Büll? Oder auf dem Parnass in Schulau: Johann Rist. Als wir im Swynschen Pesel des Meldorfer Museums standen und erlebten, wie unser Direktor sich mit dem leitenden Lehrer Goos über jeden Gegenstand und über das Ganze klug und fein und weise unterhielt und wie wir dasselbe im Altonaer Museum vor den Schiffsmodellen und in den Bauernstuben im Gespräch mit Professor Lehmann erlebten, da waren wir recht stolz auf unseren so gelehrten und geachteten Lehrer. Aber noch viel, viel stärker war die Scham, wenn wir an die Mathematik-Stunden in Obertertia zurückdachten. Da hatten wir hinter dem Rücken des an der Wandtafel Zahlen u. Buchstaben schreibenden Direktors Unsinniges und Störendes getrieben und nichts gelernt. Ein ganzes Jahr hindurch. Unser Herz tat Buße in Sack und Asche. In den Primen gingen uns die Augen auf, welch ein besonderer und seltener Mensch im Deutsch- und Lateinunterricht vor uns stand und beglückwünschten uns dankbar und ehrfürchtig vor dem waltenden Schicksal. Er wußte so eindrucksvoll zu lesen, daß zwei Tasso-Aufführungen, die ich erlebte, von mir immer im Selbstgespräch unterbrochen wurden: „Das konnte Detel viel einfühlsamer, feinsinniger, wohlklingender, durchgeistigter, goethischer sagen.“

Rudolf Mohr und ich waren so erfüllt von einer so glückhaften und beseelten Darreichung gottheitdurchglühter Geistesgüter der Menschheit, daß wir uns von Tag zu Tag Aufgaben zum Lernen nannten, die wir uns am anderen Vormittag in der großen Pause unter den Linden des Kirchplatzes vorsprachen. Als später Fritz Kuhlencordt Arzt in Oldendorf war und ich Lehrer in Cuxhaven, trafen wir uns alle Jahre einmal. Dann fuhr ich mit ihm in die Moordörfer an der Oste = Gräpel, Hude, Elm. Hatte er seine Kranken besucht und ich mit den Leuten und Kindern an Straßen und Wegen geplaudert, erfrischten wir uns im Dorfkrug und plauderten. Unvermittelt sagte er: ,,Weißt Du auch, daß Detel sehr gut vorlas?“ Da erlebte die alte Wirtsstube im Moordorf der Osteniederung das Beste, was je in deutscher Sprache geklungen und gesungen. Als wir gleichzeitig mit Rudolf Mohr in Berlin studierten, sagte dieser zu uns: „Morgen müßt ihr in die Vorlesung meines Lateinprofessors kommen, er spricht über Detel.“ Zwei Stunden hörten wir ihn sprechen über Detlefsen „Untersuchungen über die Zusammensetzung der Naturgeschichte des Plinius“. Als Studenten in Kiel sahen wir Detlefsen in seiner feierlichen und langsamen Weise die Düsternbrooker Allee heraufkommen. Die Gesellschaft für schleswig-holsteinische Geschichte tagte, Begrüßung herzlich und freudig, Handschlag, Ritterschlag. Dann in die Bücherei des historischen Seminars. Dort fanden wir in den Schriften unserer heimatlichen Geschichtsgesellschaft von unserem verehrten Lehrer an Aufsätzen: Namensverzeichnis der Itzehoer Einwohner aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, Heiligenstedtner Einwohner aus der Zeit um 1500, Wewelsflether Missale, Beiträge zur Geschichte des Kirchspiels Neuenkirchen an der Stör, Geschichte des Kirchspiels Herzhorn, das Hollische Recht, Friesisches Recht, Urkunde des Klosters Uetersen aus dem Jahr 1319, die städtische Entwicklung Glückstadts unter Christian IV und über die Anfänge Itzehoes.

Ein besonderes Erlebnis für unseren Direktor war in jedem Jahr das Eintreffen unseres Primanerberichtes. Anscheinend war er in der Pause angekommen. Dann war er so gespannt und erregt, daß er in der Stunde gleich weiterlas. Sein Selbstgespräch dabei hörten wir mit „ … und der Buchholz ist nun Pastor auf Pellworm … und hier Emil Holst auf dem Predigerseminar in Preetz. Das ist neu. Früher gab es das noch nicht, … und Schneekloth Arzt im östlichen Holstein … Hans Messer Arzt in Ilienworth. Dorthin muß man in Itzwörden umsteigen und dann über die Oste. Und in südlicher Richtung liegt Rechtenfleth an der Weser. Da wohnt Hermann Allmers.“ — Nichts ist bezeichnender für die bescheidene Art unseres Detlefsen, daß er nur dies eine Mal den Namen seines Freundes aus den römischen Schlendertagen nannte. Wieviel übel düftende Eitelkeit begegnete uns später bei den Professoren auf den Universitäten! — In dieser Weise sprach er geraume Zeit weiter. Uns Primanern ging dabei die einmalige Bedeutung unseres Primanerberichtes und sein Reichtum als psychologische Fundgrube auf. „Nichts bildet mehr als Menschenschicksal miterleben“, sagt Gustav Frenssen im „Jörn Uhl“. Auch erkannten wir die Schönheiten und Reize des Lehrerberufes. All dies wirkte nach und bestimmte oft schicksalhaft den Lebensweg.

Unvergeßlich die Ansprachen in der Aula bei festlichen und ernsten und traurigen Anlässen. Als wir Sextaner waren, beugte er sich vom hohen Podium mit den geschnitzten Lampen bei der Weihnachtsfeier zum Schluß zu uns hernieder und sagte väterlich warnend: „ … und nun ihr Kleinen, verderbt bei all dem Marzipan und Schokolade und buntem Stuten aber ja nicht euren Magen.“ Wie er es sagte, das war es. Heute noch nach 65 Jahren kann ich den Ton in jeder Stufung in mir hervorrufen. Als einer unserer Mitschüler in der Badeanstalt von Hell in der Docke einen Mitschüler, der aus Bremen aus alter Hanseatenfamilie stammte, spielend und übermütig aus verrosteter Pistole erschoß, — Hans Höxbroe war dabei — wie fein und leise und traurig und wirksam sprach er in jedem Jahr am Unglückstage zu uns! — „Ihr seid der Stolz der Landschaft,“ so schloß die Abiturrede, als Emil Holst und Kameraden vor ihm und vor uns standen. Nachdenklich horchten wir auf und ahnten eine Verpflichtung. Wiederum seine Mahnungen und Warnungen vor versammeltem Volke in der Aula, wenn wir in der Maienblüte unserer Jugendkraft wegen wilder Sturmfahrten auf der Elbe und kühner Kaperstreiche auf dem Strande und gefähr1icher Abenteuer auf Fluß und Strom, in Höhlen und Schuppen bei ihm verklagt waren. Nie mischte sich in seine ernsten Worte ein verletzender oder falscher Ton ein, der uns in unserem Wikingerblut nur trotzig gemacht hätte. Diese unsere feste Haltung in Sturm und Wetter in Gefahren und Abenteuer hat später in Krieg und Not und Lebenskampf durchaus ihre Probe bestanden. Uns brauchte Nietzsche nicht erst „gefährlich leben“ zu lehren. Es berührte mich verwandt u. glückstädtisch, als Max Tiessen in Itzehoe neulich das Boot seiner Schule auf „MAX TIESSEN“ weihte und dabei erzählte, daß er schon im 8. Lebensjahr zu Bach gegangen sei. Nie hat unsere Schule unsere geheiligten Naturrechte auf die Elbe und ihre Ufer verletzt. Aber Warnen und Mahnen war ja ihre Pflicht, schon unserer Eltern wegen. Im übrigen: Die Sonne hat ihre Flecken, unsere Muttererde hat ihre Schmarotzer, eine vollkommene Schule gibt es nicht. Daher die Losung: Setze dich durch, behaupte dich, werde in Mühe und Widerstand und Kampf ein Mann! Von Cuxhaven aus trachtete ich, nach Rechtenfleth zu kommen. Es gelang. So stand ich vor dem Schreibpult, an dem Hermann Allmers am 10. August 1862 an Ernst Haeckel in Jena schrieb: „Ich möchte wohl, daß Du den lieben, treuen, bescheidenen und scheußlich gelehrten Marschenforscher Detlefsen kenntest. Mit diesem wackeren Altertumskundigen verlebte ich in trauter, täglicher Gemeinschaft einen glücklichen Winter in Italien, später reiste und arbeitete er für Napoleons Cäsarbiographie und ist erst jetzt aus Italien über Paris heimgekehrt, wo er dem Kaiser die Resultate seiner Forschungen dargelegt hat, und auf die nächsten Tage hat er sich in Rechtenfleth angemeldet. Daß mein Herz voll Jubel darüber ist, kannst Du denken.“

Am 3. September 1866 schreibt Allmers wieder an Haeckel: „Mein alter, lieber Junge! Ich bin eben erfrischt und angeregt von einem hübschen Ausflug nach Holstein zurückgekehrt, den ich hauptsächlich unternommen, um meinen lieben römischen und florentinischen Freund Dr. Detlef Detlefsen zu besuchen, welcher jetzt in seiner Vaterstadt Glückstadt Gymnasiallehrer ist. Ich machte in seiner Gesellschaft manch hübschen Streifzug durch seine Heimatgegend. Zur fünfundzwanzigjährigen Feier gemeinsamer Romfahrt widmete Hermann Allmers seinem lieben Mitschlenderer ein Gedicht, das so schließt: „Das Beste doch, was ich gewann auf meiner Romfahrt — das warst du!“

Erinnerungsstudie von Willi Detjens, (1882-1863) (1902): Oberstudienrat, Cuxhaven,  „Unserm lieben Professor Detlefsen zum Gedächtnis“. In: 64. Jahresbericht 1957, S. 3-7.

Gründungsmythos II

Den für unser Land historischen Tag der schleswig-holsteinischen Erhebung, 24. März 1884, feierten einige „Holsaten“ auf der Bude von Johannes Lohse, aus Wilster, Kneipname „Hannibal“, im Hause der Witwe Sönnichsen am Deichtor. Dieser Tag wurde zum Gründungstag unserer heutigen Primanervereinigung. Hannibal stammte aus Wilster, er hatte gerade sein Abitur bestanden, seine Tage in Glückstadt waren gezählt, er würde die Bude demnächst aufgeben müssen. Da schworen die Freunde sich ewige Treue und trösteten sich mit dem Vorsatz, regelmäßige Wiedersehensfeste einzurichten, am liebsten jährlich an einem fest stehenden Tag.

Der Beginn des Studiums und die Faszination originaler studentischer Verbindungen mussten „Holsatia“ bei den Freunden in Vergessenheit bringen. Doch der Gedanke, sich als Ehemalige regelmäßig in der Heimat zu treffen, war in der Welt. Nachwachsende Primaner, nachweisbar Göttsche und Mehrmann trugen die Wünsche der „Wilsteraner Kolonie“ Direktor Detlefsen vor, und damit waren sie unversehens an der richtigen Adresse! Hier fanden sie nicht nur Interesse und umfassende Beratung, sondern bekamen auch gleich einen Probedurchlauf geboten.

Heiligabend 1886 nutzt der stets überbeschäftigte Detlefsen Briefschulden gegenüber dem Freund Hermann Allmers zu einer Jahresrückschau: „… ich habe in diesem Jahre nicht eine Probe von Ferienreisen machen können. Dagegen feierte ich in den Ferien am 5. August ein hübsches Fest. Einige meiner älteren Schüler hatten es angeregt, dass einmal alle alten Schüler des Gymnasiums, die sich dafür interessieren, eine Zusammenkunft halten möchten. Ein Aufruf ging in alle Welt, und es fanden sich am genannten Tage wohl 40 bis 50 ein, die Hälfte etwas älter als ich oder Altersgenossen, die andere Hälfte meine Schüler. Es war ein fröhliches Zusammensein, an dem gemeinsame Erinnerungen aufgefrischt wurden.“ Unter ihnen war der 1804 in Glückstadt geborene Staatsrechtslehrer Ludwig von Rönne, nach dem seit 1897 eine Straße in Berlin-Charlottenburg Rönnestraße heißt.

Plinus-Forscher Detlefsen war in jüngeren Jahren (1858-1861) Mitglied und zeitweiliger Leiter einer Tischgemeinschaft deutscher Künstler und Gelehrter  in Rom gewesen, nach ihrem Treffpunkt an der Antoniussäule „Colonna-Gesellschaft“ genannt. Aus Rom in die Heimat zurückgekehrt oder beruflich in alle Winde verstreut, begannen die „Colonnisten“ einen schriftlichen Gedankenaustausch über ihren Verbleib, ihr berufliches Fortkommen ihre Projekte und das der Freunde, mit denen sie noch Kontakt hatten oder denen sie an zufälligen Orten zufällig begegnet waren. Inhaltsschwere Briefe – damals handgeschrieben – wurden nicht nur aufbewahrt, sondern mit ihren Neuigkeiten auch auf Rundreise zu Freunden weiter geschickt. Stockte der Rundverkehr oder wollte jemand seinen Brief zurück haben, gab es Schwierigkeiten und Arger. Mit den Problemen des Kontakt-Haltens in fortschreitendem Alter bestens vertraut, ist Detlefsen die Anregung zu einem gedruckten Jahresbericht wohl eher zuzuschreiben, als einem Geistesblitz des jungen Konrad Steffens.

Soeben Direktor geworden, hatte Detlefsen 1879 auf wiederholtes Drängen seines Freundes Allmers, des Colonna-Gründers, ein Wiedersehens-Treffen zu organisieren, den großen „Colonna-Congress“ in München, der dann der einzige blieb. Der enthusiastische „Vereinsmeier“, Autor der „Römischen Schlendertage“, dichtete dazu ein zündendes Kneiplied: „ … du alte Zeit im alten Rom, du goldne Zeit am Tiberstrom …, oh jerumjerumjerum…“ Adolf Michaelis, ein klassischer Archäologe, sorgte mit einer kleinen Druckschrift dafür, dass die Kongress-Teilnehmer den abgerissenen Gesprächsfaden leicht wieder aufnehmen konnten, Titel: „Geschichte des archäologischen Instituts Rom auf der Casa Tarpea (1829-1879)“

Es muss Detlefsen eine Freude gewesen sein, den Schülern bzw. dem befreundeten Konrad Steffens seine Erfahrungen hinsichtlich Programm Teilnehmerliste, Adressen, Einladung, Festlokal, Unterkünfte usw. weiterzugeben!  Und auch er hielt für die Anreisenden zur Einstimmung eine Erinnerungshilfe bereit, die „Chronik von Glückstadt, ausgezogen aus der Stormarschen und Hardeshörnischen Chronica Hieronimi Saukij“, jetzt ein Standardwerk der Ortskunde. Auf der ersten Seite prangt ein Vierzehnzeiler in Hexametern aus Detlefsens Feder: „Nehmt es zum frohen Gedenken des Tages als freundliche Gabe, knüpft die Erinnerung doch fester die Bande des Glücks.“ Das Treffen wurde zum ungeahnt großen Erfolg! Freudige Zustimmung zu der Empfangsgabe war es, die den Gastgeber veranlasste, seine Aufmerksamkeit von Mommsens altlateinischer Inschriftensammlung „Corpus inskriptionum latinarum“ weg auch auf die Vorzeit der heimischen Marschen zu richten. „Ich beschäftige mich eingehend mit der Geschichte des Gymnasiums, weiter mit der der Stadt Glückstadt und in noch weiterem Kreise mit unserer Elbmarsch.“

Den zum 1886iger Treffen einzuladenden Ehemaligen gehörte auch Justizreferendar Konrad Steffens an – falls er nicht schon an der Vorarbeit beteiligt wurde. Vom Erfolg ermutigt, fällt ihm die Abmachung vom Deichtor  1884 wieder ein, und er beschließt, sie in die Tat umzusetzen. Er ruft Lohse und Freunde zum 24. März 1887, für die Gründung eines „Freundschaftsvereins ehemaliger Primaner von 1887“ zusammen. Die Statuten können weitgehend von „Holsatia“ übernommen werden. Anderes ist von Steffens juristisch vorbereitet. Neu ist: Zu regelmäßigen jährlichen Wiedersehen gibt es ein jährlich zu verschickendes Berichtsheft. Darin sollen die Mitglieder untereinander sich über ihre Lebensschicksale unterrichten sowie mit Schulerinnerungen das Interesse für die Schule aufrecht erhalten. Im Gegenzug werden sie über die aktuelle Lage der Schule und des Vereins informiert.

Die Gründungsversammlung fand im Haus Am Fleth 25 statt, heute Geschäftsstelle der Glückstädter Fortuna (Wohnhaus Steffens?) Die erste Jahresversammlung folgte am 31. August 1887 im „Holsteiner Hof“, später „Hotel Tiessen“, Ecke Gr. Kremperstraße/Kl. Danneddelstraße. Obzwar es nun für den Vorstand noch viele Schwierigkeiten gab, für Jung und Alt, Reich und Arm die allen genehme Form des Festablaufs anzubieten – so ist doch mein Fazit: Unser Primanerverein ist ein geistiges Kind des Direktors Detlef Detlefsen!

Wie die Colonna-Gesellschaft, so fand die Primanervereinigung in Emil Westphal: auch einen Barden, der sie mit Kneipliedern versorgte. „Ik weet en Dag voll Högen, voll luder Hochgenuss, dat is der een-, de een-, de eenundörtigste Auguss …“