„Ich entsinne mich nicht, jemals gehört zu haben, daß der damalige Dezernent „für das preußische Schulwesen, Ludwig Wiese, bei seiner 1868 unternommenen Inspektionsreise durch die Höheren Schulen der neu erworbenen Provinz auch die Itzehoer Realschule besucht hat, obwohl diese doch gerade auf seinem Wege lag, da er sich damals von dem Meldorfer Gymnasium nach dem von Glückstadt begab. An diese Reise bewahre ich noch eine persönliche Erinnerung, die wohl nur deshalb so besonders deutlich in meinem Gedächtnis haften geblieben ist, weil sie mit der Erinnerung an meine erste Eisenbahnfahrt verknüpft ist, auf der ich als siebenjähriger Knabe meinen Vater von Kremperheide nach Glückstadt begleiten durfte. Und eine solche Bahnfahrt war doch damals ein gewaltiges Ereignis in dem Leben eines Dorfjungen, In Glückstadt stieg mit uns aus dem gleichen Zuge ein Herr aus, der durch seine schwarze Kleidung und durch seinen Zylinderhut ein besonders feierliches Aussehen hatte und meinem Vater daher sogleich auffiel. Als wir hinter diesem das Bahnhofsgebäude verließen, sahen wir von den gegenüberliegenden Anlagen aus etwa sechs durch ihre Kopfbedeckung als Schüler der Oberklassen der „Gelehrtenschule“ kenntliche junge Leute sich ihm anschließen, die alle ostentativ zu rauchen anfingen, die meisten Zigarren, ein oder zwei sogar kleine Pfeifen. Es war ein richtiges Komitat, das diesen Herrn, der gleichmütig weiterging, seine rauchenden Begleiter nur zuweilen scharf musterte, bis in die Stadt hinein begleitete. Dieser etwas merkwürdige Vorgang ward in seiner Bedeutung erst einige Wochen später meinem Vater klar, als im Hause meiner Großeltern das Gespräch darauf kam. Jener Herr war kein anderer, als der Geheimrat Ludwig Wiese, der bei der Revision des Meldorfer Gymnasiums sich mißfällig darüber geäußert hatte, daß den Primanern das Rauchen auf der Straße gestattet sei. Das Kommen dieses preußischen Schulgewaltigen wurde natürlich auf allen alten „Gelehrtenschulen“ der Provinz mit Spannung erwartet, und die Meldorfer hatten sofort ihren Kameraden in Glückstadt geschrieben, welche Knebelung ihrer Freiheiten von dem neuen preußischen Regiment zu erwarten sei. Dabei hatten sie das Aussehen des kommenden Schulrats den Glückstädtern so genau beschrieben, daß diese ihn unschwer erkennen konnten und beschlossen, dem „Preußen“ gleich bei seiner Ankunft zu zeigen, wie wenig die Holsteiner gesonnen seien, sich von den Preußen ihre Freiheiten rauben zu lassen. Daher hatten sie sich dieses demonstrative Ehrengeleit bei seinem Kommen ausgedacht. Der Anblick dieses qualmenden Komitats ist mir aber unvergeßlich geblieben, und ich mußte unwillkürlich lachen, als ich vierzig Jahre später in den „Lebenserinnerungen“ Ludwig Wieses denselben Vorgang in durchaus humorvoller Weise berichtet fand und las, wie dieser um das Höhere Schulwesen so verdiente Schulmann als erfahrener Pädagog die Sache durchaus nicht als schroffer Preuße behandelt hat. Man kann Ludwig Wiese die Anerkennung nicht versagen, daß er die Eingliederung der Holsteiner Höheren Schulen in das straffere preußische System in durchaus vornehmer Weise möglichst reibungslos zu gestalten verstanden hat.“
Diese amüsante Episode „Aus den Erinnerungen des Professors Franz Pahl, Charlottenburg,“ fand ich in den Akten der Kaiser-Karl-Schule Itzehoe. Ich kannte sie nicht und hielt sie für wert, im Bericht der Glückstädter Primaner abgedruckt zu werden. “
Max Tiessen in: 56. Jahresbericht der Vereinigung ehemaliger Primaner des Gymnasiums Glückstadt von 1887 (1. Nachkriegs-Doppelband 1948,1949).